In Putins Kopf by Michel Eltchaninoff

In Putins Kopf by Michel Eltchaninoff

Autor:Michel Eltchaninoff
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Tropen
veröffentlicht: 2016-02-19T16:00:00+00:00


7. Kapitel

Dostojewski und Berdjajew,

die falschen Freunde

Zwei besonders heikle Fälle sind hier genauer zu hinterfragen. Regelmäßig werden zwei der bedeutendsten russischen Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts von Putin und den Repräsentanten der konservativen Wende ins Feld geführt. Es handelt sich um den Schriftsteller Fjodor Dostojewski (1821–1881) und den Philosophen Nikolai Berdjajew (1874–1948). Ihre Porträts prangen nebeneinander auf der Webseite für »konservatives politisches Denken«, Russkaja Idea – was auch der Titel eines Werkes von Berdjajew ist. Putin zitiert sie beide. Wenn man seinen Bekundungen Glauben schenkt, gehört ersterer zum Pantheon seiner Lieblingsschriftsteller. Putin nennt neben Dostojewski auch noch Tolstoi, Tschechow, Lermontow oder Mandelstam.1 Gegenüber Paris Match beteuert er, »mit Vergnügen die russischen Klassiker zu lesen, besonders Dostojewski und Tolstoi«.2 Der Verweis auf den Autor von Verbrechen und Strafe oder Der Idiot wird hernach bei jeder guten Gelegenheit wieder aufgegriffen, doch zu mechanisch, zu situationsbedingt, um wirklich tiefsinnig zu erscheinen. 2006 hält der Präsident in Dresden, jener Stadt, in der er für den KGB arbeitete und in der Dostojewski während seiner europäischen Wanderjahre eifrig die Gemäldegalerie besuchte, eine Rede zur feierlichen Enthüllung eines Denkmals für den großen Schriftsteller. Dabei vertritt er einen sanften und proeuropäischen Dostojewski. Er erklärt: »Einer der Leitsprüche von Fjodor Dostojewski war die Parole: ›Dass die Schönheit die Welt retten wird‹. Das bezog sich natürlich in erster Linie auf die Harmonie zwischen den Menschen. In diesem Sinne zeugt diese symbolische Geste der deutschen Bundesregierung, der Landes- und der Stadtregierung davon, dass wir alle in einem gemeinsamen europäischen Kulturraum leben.«3 Ein Pathos, das einem Dostojewskischen Träumer zur Ehre gereicht. Kurz darauf bringt Putin den Romancier auf aggressivere Weise zum Einsatz. Mit Bezug auf die berühmte Rede Dostojewskis, die der Dichter einige Wochen vor seinem Tod Puschkin zu Ehren hielt, und auf die in ihr formulierte »politisch-philosophische Definition der europäischen Berufung Russlands« zieht Putin den Schluss, »dass Europa ohne Russland nie im Frieden mit sich selbst sein kann, wie auch Russland ohne Europa nie seine ›europäische Sehnsucht‹ zu stillen vermag.«4 Kurzum, er ruft dazu auf, Russland nicht aus dem europäischen Integrationsprozess auszuschließen. Das zeigt, dass sich der Gebrauch Dostojewskis wandeln kann. Die konservative Wende überträgt dem Autor der Brüder Karamasow eine neue Rolle. Aus dem Romancier, der für seine christusgleiche Sanftheit und seine ökumenische Vision des Europa und Russland einigenden Bandes geschätzt wird, wird plötzlich (wieder) der erbitterte Gegner der liberalen, sozialen und prowestlichen Intelligenzija – der Autor des antinihilistischen Romanpamphlets Böse Geister. Am 25. Mai 2014, noch am selben Abend der ukrainischen Präsidentschaftswahlen, die den Sieg der proeuropäischen Bewegung sicherstellen, strahlt der Sender Rossija 1 nach großer Werbekampagne die ersten Episoden einer Serie von Wladimir Chotinenko aus, eine Adaption der Bösen Geister. Dieser Filmemacher, Mitglied des Kulturrats des orthodoxen Patriarchats von Moskau, sendet eine sehr klare Botschaft an die proeuropäischen Intellektuellen: Das Land liebt euch nicht. Der Roman erzählt bekanntlich vom Komplott skrupelloser Revolutionäre gegen die rechtmäßige Macht in einer Provinzstadt. Zynische und brutale junge Nihilisten werden von lächerlichen, westlich orientierten Intellektuellen in ihrem Tun bestärkt. Letzten Endes ermorden sie einen engagierten orthodoxen Nationalisten.



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